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Das Naturhistorische Museum Wien

Das Naturhistorische Museum Wien

DIE POSITIVE MACHT DER POESIE Ein Museumsbesuch der emotionalen Art

Mag. Dr. Brigitta Schmid, MSc

Mag. Dr. Brigitta Schmid, MSc bei einer ihrer poetischen Führungen

Brigitta Schmid vom Naturhistorischen Museum Wien geht neue Wege der Kommunikation

„Erden en masse“ ist der Titel eines Gedichts, mit dem die Wissenschaftlerin Brigitta Schmid den Besuch der Sonderausstellung „Brasilien“ einleitet. Ihre Poesie hat keine Reime, aber einen eingängigen Rhythmus, der den Begleitern Aufmerksamkeit abfordert und sie genau hinhören lässt. Die Verse sind eine Ermahnung, wenn sie uns schon in der ersten Strophe als „zu anspruchsvoll mit unseren sämtlichen Bedürfnissen, tatsächlichen und eingebildeten, auf Arterhaltungstrieben fundierten und aus ökonomischen Erwägungen von uns selbst fantasievoll kreiert“ beschreiben. Aus unbedachtem Geschäftssinn brennende Wälder illustrieren auf allzu deutliche Weise, dass für uns offenbar eine Welt nicht genug ist.

Mit „Wir sind zu viele unausweichlich, die zerstörerische Kraft unserer explodierenden Individuenzahl, das Erfolgsmodell Homo Sapiens völlig aus dem Ruder gelaufen, sich unaufhaltsam ins Gegenteil verkehrend“ geht es weiter, um daraus am Ende beinahe resignierend ein deutliches Fazit zu ziehen: „Um alles zu bekommen, was wir wünschen und wollen, würde es zahlloser Erden bedürfen – aber wir haben nur diese eine, und in rasant sich nähernder Zukunft wahrscheinlich nicht einmal mehr diese.“ Den Zuhörern bleibt es überlassen, daraus Schlüsse auf das eigene Verhalten zu ziehen, vor allem aber, die großartig gestaltete Schau mit anderen Augen als bisher zu sehen.

Brasilien, Kabinett 2, Saalansicht © NHM Wien, Christina Rittmannsperger

Brasilien, Kabinett 2, Saalansicht © NHM Wien, Christina Rittmannsperger

Inspiration in Fülle bietet Brigitta Schmid auch die Schausammlung. Den beiden wahrhaft betagten Damen, also der Venus von Willendorf und der Fanny vom Galgenberg, wurde jeweils ein Gedicht gewidmet. Die ersten Verse verraten bereits das Alter der rundlichen Frauengestalt:

Britta Schmid beim Gedicht zur Venus aus Willendorf

Britta Schmid beim Gedicht zur Venus aus Willendorf

Vor 30.000 Jahren war sie rot. Vor 30.000 Jahren war sie heilig. Vor 30.000 Jahren hatte sie eine Botschaft“, um zuzugeben, dass wir deren Bedeutung nicht kennen. „Wir können ja nicht einmal sagen, was genau sich bei ihrer Ausgrabung zutrug, vor wenig mehr als einhundert Jahren.“ In „Fanny“ werden Einblicke in die Arbeit der Archäologen geboten. Beschrieben wird die Geduld, „um tausendeinhundert Kubikmeter Erde durch winzige Siebe zu streichen, und einen geschulten Blick, um in acht zentimeterkleinen und millimeterdünnen Amphibolitschiefer-Stückchen die Teile eines Kunstwerks zu erkennen“ und der wahrscheinlich ersten Menschenfigur der Welt aus Stein eine wahrscheinliche Gestalt zu geben.

 

Poetischer Halt gemacht wird auch an zwei Kuriositäten. Entomologen, weiß die Wissenschaftlerin, werden auf der Jagd nach Insekten „völlig crazy“. Einer von ihnen war Ernst Grundmann, der Tausende von Marienkäferln gesammelt hat.

Wegen divergierender Pünktchen wurden sie von ihm fälschlicherweise als eigene Arten beschrieben. Nur ein winziger Teil davon ist ausgestellt. In einem Gedicht wird vor diesem „Forscherleben“ am Ende der Hut gezogen: „Weil es ihm gelungen ist, uns seine Beobachtungen und Schlüsse, aber auch seine Irrtümer, so unmissverständlich-präzise mitzuteilen, zählt seine Sammlung heute zu den größten Kostbarkeiten im Naturhistorischen Museum.“ Zu den Top-100 Objekten zählt auch die humorige Fälschung „Wiener Basilisk“. Man fürchtete sich einst vor diesem Monster. „Weil der Basilisk, diese unselige Mischung aus Hahn, Kröte und Schlange, angeblich in den tiefsten Brunnen verborgen, grauenhaft stinkend und absolut tödlich, weil also dieses schrecklichste aller Ungeheuer in keiner Wunderkammer fehlen durfte, musste man es erfinden.

Dieses aus einem Rochen gebastelte Machwerk steht nun für „ein nachsichtig belächeltes Opfer von Aufgeklärtheit und Vergänglichkeit.

 

Mit „Es war einmal..“ beginnt das Märchen vor der Spiegeleiqualle. Es erzählt von einem Glasbläser, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, Glas so zu gestalten, dass es lebte. Auf der Suche danach kam er sogar nach Amerika und erlebte auf der Überfahrt einen Zauber, der ihn inspirierte und am Ende zufrieden feststellen lässt: „Ja, so muss es sein. Endlich. Glas, das lebt.“. Gemeint ist mit diesem Träumer Leopold Blaschka, dem das Museum überaus natürlich wirkende Glasmodelle verdankt. Er hat wie die anderen in seiner Weise der Wissenschaft gedient. Ihnen allen gilt der Gruß „Salve Scientia“. Ihr wünscht Brigitta Schmid „Zauberstäbe und Flügel und sagenhafte Erfolge“, dazu „übermächtige Kräfte im potenten Netzwerk der Forschung“ und letztlich ein Durchhalten „im aufreibend-aussichtsraren Duell zwischen den Blumenbeeten der Forschung und den Fußballfeldern der Vernichtung.

Der Basilisk, aufbewahrt in Alkohol

Der Basilisk, ertränkt in Alkohol

Als ergänzendes Programm zur Ganymed Bridge gibt es

 

POETISCHE MITTAGSFÜHRUNGEN

mit ausgewählten Highlights im NHM. Brigitta Schmid stellt in poetischer Form vor:

 

Donnerstag, 25. Mai, 12.30 – 13.00 Uhr: Eine Legierung verändert die Welt Bronzezeit

 

Donnerstag, 1. Juni, 12.30 – 13.00 Uhr: Lebensbild aus dem Abfall Hallstatt

 

Donnerstag, 15. Juni, 12.30 – 13.00 Uhr: Kunstnatur Naturnähe von Menschenhand

 

Donnerstag, 22. Juni, 12.30 – 13.00 Uhr: Nestgeschichten Seeadler bis Kakapo

 

Donnerstag, 29. Juni, 12.30 – 13.00 Uhr: Schatten auf der Roten Liste Ausgerottet – gefährdet – bedrängt – verfälscht

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