Noszvaj: Pflaumenmus kochen, Körbe flechten und Wohnen in der Höhle
Ein Stück lebende Geschichte
In Noszvaj, knapp zehn Kilometer östlich von Eger, hat sich ein Stück originales Ungarn erhalten. Die Jahrzehnte des Kommunismus scheinen an diesem Dörfchen nahezu spurlos vorbei gegangen zu sein. In einem adretten Rathaus wird man mit Informationsmaterial versorgt und ist erstaunt, wie viel versteckter Sehenswürdigkeiten sich in diesem freundlichen Flecken verbergen.
g.o.queru.r.u.: Höhlenwohnungen
r.o.. Die beiden Backöfen im Heimatmuseum
l.o.: Háti, typische Körbe aus Noszvaj
r.: Detail der Kassettendecke aus der Pfarrkiche
u.quer: Dorfmuseum von Noszvaj
Den Rundgang beginnt man am besten beim Schloss De la Motte und einem Spaziergang in dessen sehenswertem Englischen Garten. Bei diesem Gebäude handelt sich um einen Superlativ der besonderen Art. Es gilt als kleinstes restauriertes Barockschloss Ungarns.
Nicht weit davon findet sich das Dorfmuseum. Ganz im Gegensatz zum feudalen Herrensitz handelt es sich dabei um ein schlichtes Bauernhaus aus dem späten 19. Jahrhundert. Es verfügt über zwei riesige Backöfen, da es ursprünglich von zwei Brüdern und deren Familien bewohnt worden war, so wird erzählt. Die beiden archaischen Kochstellen werden bestens in Schuss gehalten, denn nach wie vor wird in ihnen fleißig gebacken. Bei bestimmten Festen, unter anderem auch am Feiertag des Landespartons, des hl. Stephan, des ersten christlichen Königs von Ungarn, werden das Museum und mit ihm die alten Zeiten zum Leben erweckt.
Brot und Hefekuchen werden gebacken und können verkostet werden. Pflaumenmus wird gekocht, stundenlang gekocht, bis es seine einzigartige Konsistenz erreicht hat, die es ohne jedes Haltbarmittel und ohne Zuckerzugabe schier unendlich lange haltbar sein lässt. 60 bis 80 kg. Pflaumen werden im großen Kessel zu 20 kg. Mus reduziert, das in hübsche Töpfchen verpackt auch auf dem Mark in Eger reißend Absatz findet.
Diese ursprüngliche Form der Obstverarbeitung hat an sich in Noszvaj Tradition. Immer mehr moderne Haushalte legen sich wieder einen Backofen im Stil der Alten zu, um dort Birnen und Äpfel behutsam zu trocknen und aus den Quitten extravaganten Quittenkäse zu kochen. Dörrobst und Marmelade lassen sich gut verkaufen und stellen ein feines Zubrot zum übrigen Familieneinkommen dar.
Transportiert wird das Ganze noch immer im Buckelkorb, dem Háti. Noch gibt es im Ort den Meister, der es versteht, aus Haselnussstreifen die Noszvajer Körbe in ihrer charakteristischen Form zu flechten. Sie waren bekannt und bis weit in die Puszta hinein begehrt, erinnert man sich noch, und ihre Herstellung hat früher nahezu in jedem Haushalt den Winter über für Beschäftigung gesorgt.
Dieses und andere Handwerke, denen man im Heimatmuseum begegnet, werden unter anderem von einer aktiven Künstler-Gruppe weiter gepflegt. Eine solche Künstler-Kolonie hat sich auch um die Höhlenwohnungen am Ortsrand angenommen. Dort haben, und zum Teil tun sie es noch, Leute gelebt, die zu arm waren, um sich ein Haus leisten zu konnten. Im Tuffstein war es relativ einfach, sich ohne große Kosten eine überdachte, wetterfeste Bleibe zu ergraben.
Die Pfarrkirche von Noszvaj, eigentlich das Bethaus der seit 1564 reformierten Gemeinde, stand stets auch ihnen offen. Das heutige Gotteshaus selbst ist die Nachfolgerin einer ursprünglich romanischen Kirche, die in der Gotik vergrößert, 1928 aber aufgrund von Platzmangel niedergerissen wurde. Geblieben ist vom alten Bau eine bemerkenswerte Kassettendecke, die in das Museum auf der Burg in Eger gerettet wurde.
Kopcsik Marzipan-Ausstellung und Glockengießerhaus
Süße Kuriositäten
Unglaublich, aber man könnte in die goldene Glocke beißen. In ihrem Kern ist sie nämlich weich und süß. Sie ist aus Marzipan und eines der erstaunlichen Werke des Konditors Lajos Kopcsik. In der Harangöntö u. 4 betreibt er im sogenannten Glockengießerhaus eine feine Marzipanmanufaktur. Als Erinnerung an den ursprünglichen Zweck dieses Hauses hat er die erwähnte Glocke geschaffen.
Man kann natürlich sein herrliches Marzipan auch kaufen und als verführerisches Souvenir mit nach Hause nehmen. Vorher sollte man aber bestaunen, was alles aus dieser Zucker-Mandel-Masse geformt werden kann. Der vielfach preisgekrönte Marzipankünstler (Oskar- und Veneszpreis und erster Konditor der Welt, der zehn Goldmedaillen bei den Berliner Olympischen Spiele für Konditoren bekam – dass es auch so was gibt?!) hat für seine Kreationen ein eigenes kleines Museum eingerichtet.
Nichts, aber schon gar nichts war vor seiner Kreativität sicher. Sogar ein ganzes Barockzimmer mit Porträts von ihm und seiner Gattin an den Wänden und davor mit Hund und Knochennapf ließen sich aus der geschmeidigen Substanz formen. Werke bekannter Künstler wie Picasso, van Gogh und Monet stehen neben seinen eigenen künstlerischen Schöpfungen, die in ihrer Formensprache durchaus vielversprechende Ansätze der Moderne erkennen lassen.
In einem Marzipanien in Eger darf der Wein nicht fehlen. Holzfässer, Erlauer Weinetiketten und eine überdimensionale Flasche Stierblut werden mit einem „süßen“ Gemälde von der Weinlese in den Erlauer Bergen verbunden und machen deutlich, dass in Eger Marzipan trotz der hohen Kunstfertigkeit ihres Schöpfers neben dem Wein nur die zweite Geige, diese aber wunderschön spielen darf.