Kultur und Wein

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Wein, Barock und Baden im Städtchen Eger

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Stierblut in den Kellern und auf dem Minarett das Kreuz

Wein getrunken wird am liebsten draußen im Tal der Schönen Frau. In diesem Kellerdorf am Rande von Eger (Erlau) reiht sich Pince an Pince (Keller). Ab dem frühen Nachmittag strömen dort Scharen von Besuchern zum Wein. Sie sind durchaus entschlossen, sich vor einem der einladenden Kellerhäuser niederzulassen, um zu genießen und auch zu kaufen. Etliche von ihnen haben dafür vorsorglich Gebinde aus Plastik mitgebracht, die anderen können an Ort und Stelle kleine Kunststoffkanister erstehen, die noch wie in alten Zeiten in den Kellern befüllt werden. Selbstverständlich haben die meisten auch elegante Flaschen, durchwegs aber gefüllt mit beachtlichem Wein.

 

Es sind großteils Ungarn, die sich hier mit Wein eindecken. Sie kommen aus allen Teilen des Landes, um zumindest einmal im Leben am nationalen Schrein vom Stolz ergriffen gestanden zu sein. Für sie ist Eger mehr als nur ein Ausflugsziel. In dieser kleinen Stadt nordöstlich von Budapest hat sich ihre Geschichte entschieden, und sofern man einigermaßen auf eine sprachliche Ebene kommt, erfährt man umgehend, was es damit auf sich hat.

Die eine Seite der Stadt wird von der Burg beherrscht. Ihre mächtigen Mauern sind mit Kanonen bestückt, als sollte noch heute die Anlage beschützt werden. Auf einer der Basteien flattert die ungarische Fahne als klares Signal, worum es hier geht.

l.g.o.: Minoritenkirche auf dem Dobó tér

r.o.: Schießende Kanone auf der Eger-Burg

l.o.: Palais des Erzbischofs

l.: Minarett

l.u.: Türkisches Bad, Hauptbecken mit Kuppel

r.: Istvan Dobó – Denkmal

l.g.u.: Brunnen im Bischofsgarten

l.g.u.l.: Bewehrte Weinfässer zur Verteidigung der Burg

l.g.u.r.: Gelassenheit in den Kellergassen

r.u.: Blick von der Burg auf Minarett und die serbische Kirche (Rác-Kirche)

Dass 1596 die Türken neuerlich vor Eger erscheinen und die Burg im Dezember dieses Jahres aufgegeben werden muss, ist im Vergleich zu diesen Ereignissen ebenso nur eine Randnotiz in der Geschichte der Stadt wie alles übrige, das man im Zuge einer Führung durch die Festungsanlage erfährt. Nicht versäumen sollte man dabei einen Gang durch die Kasematten der Burg. Der Tuffstein, auf dem das wehrhafte Gemäuer errichtet wurde, wurde für Verteidigungszwecke mit kilometerlangen Gängen durchbohrt. Diese Röhren sind wiederum mit den Kellern unter der Stadt (300 Kilometer!) verbunden und führen teilweise bis weit hinaus in die Umgebung von Eger, unter anderem auch, so wird erzählt, in das Tal der Schönen Frau.

 

Noch ist es aber nicht an der Zeit, sich zum Weine zu begeben. Vorher ist noch ein Spaziergang durch die Stadt angesagt. Sie besticht mit einer auffällig großen Anzahl an Baudenkmälern. Gezählte 170 Gebäude tragen die Tafel „Müemlek“, was soviel wie „unter Denkmalschutz stehend“ bedeutet.

An dieser Festung musste sich im Herbst des Jahres 1552 eine türkische Heeresmacht von 80.000 Mann knapp 2.000 Verteidigern geschlagen geben. Eine Handvoll Soldaten, unterstützt von der Bevölkerung Egers – die Söldner hatten sich sicherheitshalber vorher abgesetzt – konnte unter der Führung ihres charismatischen Kommandanten István Dobó die Burg halten und damit dem Vormarsch der Osmanen nach Westeuropa zumindest für einige Jahrzehnte Einhalt gebieten.

 

Unmittelbar nach der Belagerung erschien der fahrende Sänger Sebestyén Tinódi Lantos in Eger und ließ sich von den Verletzten die Geschichte erzählen. In 333 Strophen besang und beschrieb er das Geschehen, das ihm aus erster Hand mitgeteilt worden war.

 

Einige Hundert Jahre später, in den Jahren 1897-99, nimmt der Dichter Géza Gárdonyi den Stoff wieder auf und verfasst den Roman „Die Sterne von Eger“ (Egri csillagok) – ein Buch, das zur Pflichtlektüre eines jeden ungarischen Kindes wird – bis heute. Es wurde in unzählige Sprachen verfasst und ist auch in Deutsch nachzulesen. Selbstverständlich wurde der Stoff auch verfilmt und zum Musical verarbeitet, das im Sommer auf der Burg aufgeführt wird.

Die Basilika, die Bischofskirche, ist der wuchtige klassizistische Ausdruck kirchlicher Macht. Eger ist seit dem 11. Jahrhundert mit kurzen Unterbrechungen Bischofsstadt, seit 1804 sogar Erzbistum. Sichtbarer Ausdruck dieser besonderen Stellung ist eine Reihe von Kirchen, die nach dem Ende der türkischen Herrschaft, also nach 1787 wieder aufgebaut wurden. Vorherrschender Stil ist demgemäß das Barock, dem man auf Schritt und Tritt in prächtigster Form begegnet, angefangen vom Bischofgarten, einem mondänen Park, über das kunstvolle Schmiedeeisen des Fazola-Tors im Komitatshaus bis zum Lyzeum mit seiner berühmten Bibliothek und dem Specula-Periscop.

 

Aus dem üppigen Rahmen fällt diesbezüglich ein Minarett. Graubraun und einsam steht es mitten auf einem Platz der Knezich-Károly-Straße als Andenken an die Türkenzeit und trägt nun ein Kreuz auf seiner Spitze. Der schlanke Bau kann – vorausgesetzt man ist entsprechend schlank und verfügt über nie nötige Kondition, um die extrem enge Wendeltreppe mit grausam hohen Stufen zu bewältigen – zum Zwecke großartiger Rundumsicht über die Stadt und die sie umgebenden Weinberge bestiegen werden.

Das Minarett ist ebenso Teil des osmanischen Erbes wie das Türkische Bad. Es wurde wiederhergestellt, wobei das Hauptbecken mit der charakteristischen Kuppel, das „Ilidzsa“, ebenfalls ein Relikt der Türkenzeit ist. Geboten wird in den modern adaptierten Räumlichkeiten ein Thermalbad, das für Therapie (während der Woche) und für Wellness (an Wochenenden) mit Hamam gleichermaßen genutzt wird.

 

Der Hauptplatz von Eger ist selbstverständlich nach István Dobó benannt. Mit gezogenem Säbel, flankiert von einem Krieger und einer Frau, die einen Stein auf die Angreifer schmeißt, beherrscht er von seinem Denkmal aus den Platz. Zu seiner Linken nimmt die in mächtigem Rosa gehaltene Minoritenkirche einen guten Teil der Front ein. Hinter ihm quert das Flüsschen Eger die Stadt. Es ist der Namensgeber, heißt es, wegen der Erlen, die auch zur deutschen Bezeichnung Erlau geführt haben sollen.

g.o.: Impression aus der Széchenyi

u. o.l.,r.u.m.: Markimpressionen

u.: Egerbach

r.: Bor (Wein) immer und überall

u.l.: Fazola-Tor

u.r.: Stimmungsvolle Gassen in Eger

g.u.: Pince im Tal der Schönen Frau

r.: Impression aus der Kellergasse

An ihm vorbei gelangt man bald an das Ende der Altstadt. Aber auch außerhalb des historischen Zentrums ist Eger keineswegs eine Stadt wie jede andere. Wenn man bereit ist, die wenig charmanten Wohnhäuser und die zu einem bedenklichen Teil aufgelassenen Betriebe als traurige Andenken an den Kommunismus zu übersehen, bietet der Stadtrand eine köstliche Entdeckungsreise in eine faszinierende Welt der Weinkeller.

 

Beinahe in jeder Himmelsrichtung wird man diesbezüglich fündig. Die hügelige Umgebung und der relativ leicht zu bearbeitende Tuffstein bieten sich geradezu an, um von den Weinbauern angebohrt zu werden. Die Kellergassen unterscheiden sich in ihrem Äußeren nur wenig von den Weinviertler „Dörfern ohne Rauchfänge“. Es gibt da wie dort die langsam verfallenden Kellerhäuser und dazwischen die offenen Türen, die zum Eintritt in diese unterirdische Welt einladen.

 

Wenn es auch mit der Sprache nicht immer klappt (es sind eher nur die jungen Leute, die Englisch oder sogar Deutsch sprechen), wird man unmissverständlich zum Trinken eingeladen. Es genügen die Tafel „BOR“ (Wein) und das angebotene Glas, den Rest erledigen handgeschriebene Preislisten mit den Namen der Weine und die Zeichensprache. Über die Traubensorten selber, die in Eger gezogen werden, und über den Wein erzählen vier der besten Winzer in ihren jeweiligen Porträts.

 

Ein Wein sollte dennoch hervorgehoben werden. Er hat die Stadt in der ganzen Welt bekannt gemacht. Egri Bikavér, das Erlauer Stierblut. Seinen kuriosen Namen leitet dieser Wein selbstredend aus der Heldenzeit von Eger ab. Während der Belagerung 1552 wurde an die Verteidiger Wein ausgegeben, wird erzählt. Die muslimischen Belagerer sahen von weitem nur die vom hastigen Trinken rot gefärbten Bärte und Brüste. Sie waren daher der Meinung, dass auf der Burg zur Hebung des Mutes und der Kampfkraft Stierblut gesoffen würde. Aufgrund ihrer Religion war den Türken der Wein untersagt, obwohl sie liebend gern auch so stark sein wollten wie die Männer in Eger. Deswegen hielten sie auch später noch hartnäckig an diesem Irrtum fest. So lange sie nur fest daran glaubten, es handle sich bei diesem herrlichen Getränk um Stierblut, durften auch sie es trinken, ohne die Strafe Allahs fürchten zu müssen.

Egri Bikavér war in diesen Tagen noch ein gemischter Satz. Sein Name kann erst im 18. Jahrhundert nachgewiesen werden und noch viel später wurde damit begonnen, wohl gereifte Rotweine zu einer roten Cuvée zu „verheiraten“. Deren Zusammensetzung, also das Verhältnis der Sorten untereinander und der Anteil an autochthonen und internationalen Trauben, ist mittlerweile genau geregelt. Trotzdem verleiht jeder einzelne Winzer seinem Erlauer Stierblut eine persönliche Note. Die Vielfalt an Stilen reicht dabei vom eleganten, eher schlanken Burgunder bis zum tanninschweren Bordeaux.

 

Am einfachsten überzeugt man sich von seiner Qualität dort, wo diese Reise begonnen hat, nämlich im Tal der Schönen Frau, dem Szépasszony-völgy. Was diese Bezeichnung für das kleine Tal im Südwesten von Eger nicht alles an Deutungen hervorgebracht hat. Sie reichen von den Frauen, die hier Wein ausgeschenkt haben, während ihre Männer im Weingarten gearbeitet haben, bis hinab ins Ungarn der Heidenzeit, in der hier die Göttin der Liebe verehrt wurde, aus der mit der Missionierung die „Schöne Frau“ als Ausdruck für die Gottesmutter Maria geworden ist.

Im Jahr 2000 hat man dieser Schönen Frau eine Gestalt gegeben. Eine Keramikfigur, geschaffen von Zsóka Debreczeni und Zoltán Pelz, weist den Besuchern den Weg in die Kellerwelt ihres Tales, das, so erfährt man ebenfalls, die Zuwendung eines Bischofs an die Weinbauern anno 1748 gewesen ist. Sie hatten dort nun die Möglichkeit, ihren Betrieb in den Felsen zu graben, um im Gegensatz die dabei anfallenden Steine zum Wiederaufbau der in Türkenzeit verwüsteten Gebäude zu liefern. Man könnte daher sagen, dass Eger eine auf und aus ihren Kellern gebaute Stadt ist, die es wert ist, oben und auch unten gebührend entdeckt zu werden.

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